Geschichten eines alternden Gamers Teil 2: Die Spiele damals

Geschichten eines alternden Gamers Teil 2: Die Spiele damals

Nicht behandelt wird hier das ewige Thema “Story vs. Gameplay” das werde ich extra beleuchten. Hier geht es nur ums Gameplay und wie es sich verändert hat von damals zu heute.

Ersteinmal für Außenstehende: man kann Spiele grundsätzliche in zwei Lager teilen:
1. Spiele mit Fokus auf die Präzision vom Zielen – das sind Spiele bei denen man von hinten auf einen Charakter, oder aus den Augen eines Charakters schaut und/oder quasi “nur” ein Fadenkreuz oder einen Mauszeiger bedient. Diese spielen sich am besten mit Keyboard und Maus, da die Maus das genaueste “Ziel Instrument” ist, das derzeit existiert. Hierzu gehören Ego-Shooter (Call of Duty), Strategiespiele (Starcraft), 3rd Person Shooter (Gears of War).
2. Spiele mit Fokus auf die Präzision in der freien Bewegung – Das sind Games mit wechselnder Kameraperspektive, bei denen sich der Held auf einer Fläche unabhängig von der Kamera bewegt, oder Spiele, bei denen der Held auf einer Horizontalen, oder vertikalen Ebene bewegt wird. Diese gehen häufig mit Joypad deutlich besser. Hierzu gehören Jump ‘n Runs (Super Mario), Action Adventures (Tom Raider), Kampfspiele (Street Fighter), Shoot ‘em ups (R-Type).
SO hat jedes Genre eine Steuerungseinheit, die optimal dafür geeignet ist… und jetzt kommt der Haken: die Amis scheinen zu glauben, dass mit einem Joypad alles prima geht. Das Ergebnis sind Spiele, die sich “seltsam” Steuern (langsame Sprünge, seltsames Blickfeldverhalten) und in vielen anderen belangen, wie etwa Anzahl der tragbaren Waffen etc. stark beschnitten sind um eben in die unpassende Gussform gepresst werden zu können. Für die Entwickler ist es so deutlich einfacher, für die unbedachten Spieler auch, aber für die, die das optimale aus ihren Games herausholen wollen ist es der Supergau.
Auch diese Abwesenheit einer echten Gesundheitsanzeige nervt mich total. So gut wie jedes moderne Spiel scheint zudem noch zu 100% auf Healthpacks verzichten zu wollen und lässt den Spieler als Alternative einfach ein paar Minuten in einer Ecke sitzen und Daumen lutschen um die Selbstheilungskraft wirken zu lassen, die jeder moderne Shooterheld zu haben scheint. Das unterbricht jedes mal den Spielfluss und nimmt unendlich viele spannende Momente weg. Denn wenn es eng wird, dann verkriecht man sich einfach, heilt und geht zurück in die Konfrontation.

Wie war das geil damals, wenn man nur noch 10 Gesundheitspunkte hatte und in einem Raum voller Gegner ging. Man speicherte davor noch schnell, holte einmal tief Luft und spähte kurz um eine Ecke um die Architektur und die Verteilung und Anzahl der Gegner zu überprüfen. Dann ging es los. Alles hing die wenigen Momente lang vom eigenen Können ab. Man war zu 110% gefordert und Schweiß bildete sich in den Achselhöhlen und auf der Stirn. Auch anders als heute konnte man durch geschicktes manövrieren und springen den feindlichen Angriffen geschickt ausweichen. In der Ecke lag dann noch womöglich ein kleines Healthpack für +25 Gesundheitspunkte und vielleicht eine Rüstung. Ja, Rüstungsteile sind auch etwas, dass man in modernen Shootern vergeblich suchen kann. Früher waren das enorm wichtige taktische Elemente im Multiplayer und im Singleplayer. Gut genutzte Rüstung konnte das Spiel um 180° wenden. So waren bei vielen Spielen die Rüstungen ein hochgradig wichtiger Bestandteil eines jeden Itemtimings – ach ja, Intemtiming ist noch so eine jener Sachen, die in so gut wie keinem modernen Shooter mehr vorkommen. Es ist die Königsklasse der taktischen Disziplinen gewesen. Wer alle Items richtig getimed hat, der hatte alle Trümpfe in der Hand. Wer nichts hatte, aber es schaffte die Items für sich zu timen, konnte ein Spiel kurzerhand herumreißen. Hier waren alle gefordert. Die Mapdesigner mussten Karten erstellen, die ein Itemtiming komplex, interessant und schwer zu managen machten, aber eben nicht unmöglich. Die Spieler mussten die optimalen Wege lernen und herausfinden wie man diese am besten und schnellsten bewältigen konnte, oder wo gute Möglichkeiten bestanden einen Itemrun des Gegners zu unterbrechen.

Nun aber mal zurück zu unserer Singleplayer Situation:
Wir sind also in den Raum gestürmt und konnten uns dank der realitätsfreien und daher unbeschwerten und unterhaltsamen Steuerung dem feindlichen Feuer entziehen. Der erste Weg geht natürlich zum Health und zur Rüstung. Fast sind wir da, als ein schwererer Gegner sich uns in den Weg stellt. Wir wissen, dass ein Schuss aus seiner Schulterwaffe einen Schaden von 50 Punkten macht… ZUW Spläät, das wars. Wir laden wieder, denn wir geben uns nicht so schnell geschlagen – außerdem müssen wir es irgendwie schaffen, da der letzte Speicherstand ewig zurückliegt. Während das Spiel lädt überlegen wir uns eine neue Strategie. Es muss doch einen Weg um diesen Panzer von Gegner herum geben. Das Spiel hat geladen und wirft uns mit unseren 10 Lebenspunkten zurück ins geschehen. Wir besitzen derzeit 8 Waffen: die Shotgun, die Mashinegun, ein Plasmawerfer, ein Raketenwerfer, ein Granatenwerfer, ein Scharfschützengewehr, eine Waffe mit unendlich Munition, die aber nichts taugt und eine oben über-drüber-sonst-was-Waffe die nur wenig Munition hat, aber einen gigantischen Schaden anrichtet. Dank der Fülle an Waffen können wir uns auf jede Situation nach eigenem Ermessen einstellen. Für wenige Situationen gibt es die eine ultimative Waffe, Waffenwechsel war damals auch eine sehr wichtige Fähigkeit, die heute in fast allen Shootern wegfällt. Durch den Mangel an Tragekraft sind die Entwickler gezwungen Situationen, in denen man eine bestimmte Waffe braucht – wie etwa ein Scharfschützengewehr, wenn man von einem Dach aus eine Person am Boden beschützen muss – richtig aufzustellen. So findet man dann urplötzlich ein Scharfschützengewehr, dass irgendeiner dort hat liegen lassen wenn man es brauchst, oder eine schwere Waffe fällt dir genau dann in die Hände, wenn ein gigantischer Roboter zu besiegen ist. Dies nimmt dem Spieler viel eigenverantwortliches Denken ab, oder besser weg und zwingt ihn dazu den einen Weg, den der Entwickler vorgesehen hat zu beschreiten. Gute Spiele schaffen es das ein wenig netter zu verpacken, aber im Kern bleibt es das Selbe. Auch Munition von gewissen Waffen müssen nicht mehr eingespart werden, da du bestimmte Waffen eh nie verwenden wirst bevor du sie wegwerfen musst um eine Neue aufnehmen zu können. Es bringt also nichts seine Munition taktisch auf die Spiellänge zu verteilen… welche im Übrigen heute längst nicht mehr die Länge von Spielen aus früheren Zeiten vorweist.

Kommen wir also zurück zu unserer Singleplayer Situation:
Den Granatenwerfer beherrschen wir nicht gut genug um ihn so als direkte Waffe einzusetzen, aber er kann ein wenig Schaden Anrichten und die Gegner zur Tür locken. Der Raketenwerfer kann uns selbst beschädigen und ist ein wenig zu langsam. Für die Shotgun ist der Raum zu groß und die Mashinegun ist etwas zu schwach in dieser Situation und die Munition der oben-über-drüber-Waffe ist uns zu schade. Das Scharfschützengewehr würde gehen, aber dazu müssen wir zu genau sein. So nehmen wir den Plasmawerfer, auch wenn wir uns die Munition davon eigentlich für einen Boss aufheben wollten. Also: wir planieren den Raum zunächst mit dem Granatenwerfer, wir hören bereits, dass es zwei dahingerafft hat. Genug davon, wir sprinten durch die Tür und wechseln zum Plasmawerfer. Der gepanzerte Gegner ist bereits um die Ecke gekommen und eröffnet das Feuer. Daneben! Wir suchen schnell Deckung hinter einem Pfeiler in der Mitte des Raumes, von hier aus eliminieren wir erstmal zwei der schwächeren Gegner. Am Geräusch der Fußstapfen können wir erkennen, dass unser Gepanzerter Nemesis in unsere Richtung unterwegs ist. Jetzt kommts drauf an. Mit einem schrägen Satz entfernen wir uns von der Deckung in die hintere Ecke des Raumes und feuern alles was wir haben auf den Gepanzerten. Geschickt weichen wir mehreren Schüssen aus seiner Schulterkanone aus, schließlich fällt er zu Boden, wir haben gewonnen.

Wir haben diesen Raum bezwungen und zwar mit nur 10 Health. Das Gefühl lässt sich kaum beschreiben. Man hat eine große Leistung vollbracht und das Spiel lässt es einen spüren. Wir nehmen Health und Rüstung an uns und verlassen den Raum erleichtert und triumphierend zum Hinterausgang.

Heute wäre die Situation niemals so spannend außer Kontrolle geraten. Wir wären mit voller Gesundheit in die Situation gekommen und hätten uns hinter dem Pfeiler regenerieren können. Allein diese Sache mit der Selbstheilungskraft nimmt einem, wie man sehen kann, viel von der Schwierigkeit des Spiels und von der Spannung einzelner Augenblicke weg. Auch Entscheidungen werden heute für den Spieler getroffen und oft nicht mehr von dem Spieler. Kontextsensitive Steuerung und Quicktimeevents leiten nun kleine Cutscenes ein, die, wie im neuen AvP beispielsweise viele Spannungsmomente erzeugen und dem Spieler viele ansonsten selbst durchgeführte Aktionen wegnehmen. Ein Beispiel ist das Hacken aus AvP 2 im Vergleich zum Hacken aus dem neuen AvP. Im zweiten Teil musste man sich zunächst mit dem Hackmodul bewaffnen um es anschließend anwenden zu können. Das bedeutete, dass man Minutenlang, mit dem Rücken zu allem Stand, was da auch immer sein mochte. Wenn man sich gegen eventuelle Angreifer verteidigen wollte musste man zuerst einmal in der Situation eine Waffe ziehen. Beim neuen AvP geht man zur hackbaren Konsole, die übrigens mit einem dicken Fetten Symbol angezeigt wird, drückt die Aktionstaste und das Hacken wird eingeleitet. Während das Modul hackt ballert man fröhlich ein paar Aliens ab und bekommt eine Statusanzeige am unteren Bildschirmrand. Dem Spieler wird seine Kompetenz abgesprochen und er wird immer häufiger zum Zuschauer degradiert. Das ist etwas, das bislang nur japanische Spiele gut konnten. Der Grund dafür: heutige Gamer wollen keine Spiele mehr spielen, sie wollen interaktive Filmerlebnisse. Das liegt daran, dass viele Gamer heutzutage gar keine “echten” Gamer mehr sind, sondern einfach Menschen, die unterhalten werden wollen und sich für eine etwas interaktivere Form der Unterhaltung entschieden haben, weil Fernsehen dann eben doch zu langweilig ist auf Dauer. Man merkt es am verschwinden von echten “Zock” -Games, die den Spieler und sein Können auf die härtesten Proben stellen, wie etwa gute Shoot ‘em ups.
Die Rechnung der Hersteller ist einfach: Ein guter Kunde ist ein Kunde, der zufrieden ist und schnell mehr will. Man braucht also Spiele, die nicht frustrieren und schnell durchzuspielen sind. Im Vergleich zu früher, wo die Entwicklerszene noch stark von den Spielhallen geprägt war, und wo das Geschäftsmodell sich eher an Spiele gehalten hat, die Enorm schwer waren, und viel Spass im Spiel bereithielten, damit möglichst viel Geld in die Spieleautomaten floss. Für den Spieler ist das neue Marktkonzept ein Fiasko, für den Casual Gamer, also den Gamer, der nur Spass haben will, und der nicht unbedingt etwas leisten will ist es ein Segen, da nun auch er in der Lage ist ein Spiel zu schaffen.
Für die oben genannten Filmerlebnisse muss man eine Story erzählen. Ein Spiel an sich kann nur sehr oberflächlich, wenn überhaupt eine Geschichte erzählen. Um eine Story voranzutreiben muss das Spiel zumindest mit Text gefüttert werden. Früher war es nicht nötig, weil die Spiele an sich wichtiger waren. Man spielte, weil man das Spiel spielen wollte und nicht um eine epische Geschichte erzählt zu bekommen, dafür gab es Filme und Bücher. Die Storys waren mehr eine Art Rahmen um dem Spiel eine Motivation zu geben, wie etwa “rette die Prinzessin” oder “vernichte das böse Alien”… etc. Mittlerweile ist bei vielen die Geschichte einer der Hauptspielgründe geworden. Da sind dann natürlich solche Szenen, wie oben beschrieben vollkommen deplatziert. So etwas braucht da keiner, weil es einen nur davon abhält der Geschichte zu folgen. Das Ende vom Lied ist: Games werden einfacher und nehmen die Spieler nun oft bei der Hand um sie durch das Spiel zu führen. Darunter leidet am Ende alles, weil man keinen Skill mehr voraussetzen kann. Und ohne Skill bleiben wenige Spielarten übrigen, die man dem Spieler noch zumuten kann. Im Rahmen eines FPS kann also nur noch der Taktikshooter wirklich punkten.
Da man nun nicht mehr davon ausgeht es mit fähigen und fordernden Gamern zu tun zu haben wird auch die Wahl der Steuerung nebensächlich, solange die Plattform die Grafikpower hat ist egal was im USB Port steckt. Steuerung ist eben unwichtig, wenn es keine Momente mehr gibt in denen ein Spieler alles geben können muss. Erwartet man solche Momente trotzdem wird das Fadenkreuz einfach auf den ganzen Bildschirm gestreckt. Ja, erinnert ihr euch nur wie präzise man früher trotz der gröberen Hitboxes oft zielen musste? Da man ja heute auch keine Munition mehr wirklich sparen muss kann man einfach blind in die ungefähre Richtung des Feindes ballern…
Dann kommt noch hinzu, dass eine Konsole deutlich leichter zu bedienen ist. Die Hardwareanforderungen stimmen immer, man muss sich mit nichts auskennen, da alles Plug and Play ist, es gibt keine Probleme mit der Installation, mit verschiedenen Betriebssystemen etc. Natürlich kann man auch deutlich weniger einstellen, aber das will ja heutzutage ohnehin niemand mehr. Heute ist alles, was dem Spielen in irgendeiner Weise im Weg steht, auch wenn es die Konfigurierbarkeit höchst selbst ist, ein Kritikpunkt, der sogar von renommierten Spielkritikern nicht ausgelassen wird. In Zeiten von Web 2.0 will niemand mehr Wissen ansammeln um etwas zu tun, man will es so vorgesetzt bekommen, dass man es einfach tun kann. Das ist so, als ob ein Mensch der sein leben lang keinen Sport getrieben hat plötzlich Marathonläufer werden will und alles verachtet, was ihm das nicht mit einem Klick erlaubt. Anders als beim Marathonläufer ist es in der heutigen Zeit in Bezug auf Spiele absolut möglich – nur eben auf die Kosten jener, die sich über ernsthafte Games freuen, die ihnen wirklich etwas abverlangen, die spannend sind und ein tolles Gameplay haben.
Alles in allem ist Gaming langsamer, kürzer, einfacher und zugänglicher geworden. Das erweitert das potenzielle Publikum, macht Storytelling im großen Stil möglich überfordert niemanden und wird ohnehin von der großen Masse so gewollt. Die Nachteile für uns alte Gamer sind offensichtlich.

-Holger Sontag
Visit www.mercuryproductions.de

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