Geschichten eines alternden Gamers Teil 1: Die Horde greift an

Geschichten eines alternden Gamers Teil 1: Die Horde greift an

Woran ich merke, dass ich trotz meines jungen Alters von 26 Jahren langsam alt werde? Nun ja, es liegt daran, dass ein wichtiger Teil meines Lebens nun nicht mehr existiert, oder zumindest nicht mehr in der Form in der ich ihn kannte und geliebt habe. Ich rede vom Gaming. Als ich angefangen habe, war das etwas, das man in seinem stillen Kämmerlein gemacht hat – etwas, was nicht jeder machte, etwas für eine eingeschworene Gruppe. Spiele funktionieren nicht wie heute. Man musste vieles erst einstellen, musste mit der Zeit seinen PC besser kennenlernen um Probleme aus der Welt zu schaffen. Konfigurationen von Spielen grenzten teilweise schon an Programmierarbeit und man konnte diese Komplikationen nur als Freiheiten ansehen, wenn man sich auskannte. Es war ein zeitaufwändiges Hobby gewesen, das aufgrund seiner damaligen Komplexität ein hohes Maß an Engagement forderte. Wegen meines Hobbys wurde ich bei meinem Abitur vom Jahrgang mit großer Mehrheit als „größter Psycho“ gewählt. Ich war Moderator eines namhaften Gamingforums und habe mich auch in der Moddingszene ein kleines bisschen eingelebt. Ich kannte die Welt des Gaming bevor… nun ja, bevor sie zu dem wurde, was sie heute ist.
Wenn man früher – ich sag schon früher – auf einem Server war, dann hatte man Spaß am Spiel und Spaß daran sich gegenseitig seine Fähigkeiten zu demonstrieren. Die Spiele verlangten den Spielern viel Geschick ab und man musste lange üben um mithalten zu können. Die Communitys und die Server um die Spiele herum waren in privater oder eigener Hand, übersichtlich und familiär. Man kannte sich und mochte sich. Klar, Trashtalk gab es auch damals schon, aber der Tonfall und die Wortwahl waren doch deutlich anders. Sicher, auch damals gab es schon sogenannte Lamer, aber diese Lamer waren sehr vereinzelt, wurden schnell geächtet oder fanden früher oder später zwangsläufig ihren Weg in die Netiquette der Gamingwelt oder hörten einfach auf. Sie fanden keinen Anschluss und wurden auf Servern schnell untergebuttert. Es war eine wahrhaft schöne Zeit um ein Gamer zu sein, da man sich eine Welt geschaffen hatte, in der die Leute einander gut behandelten, Vorurteile keinen Platz hatten, man Differenzen durch einen gemeinsamen Nenner klären konnte und es immer ein allgemeines Thema gab, das positiv im Raum stand.
Dann kam die Playstation eins und mit ihr wurde plötzlich jeder zum „Gamer“ das fand zwar noch alles abseits des Internets statt, aber die Entwicklung nahm ihren Lauf und brachte mit Counterstrike – einem Spiel, dass mit allen bisherigen Konventionen in irgendeiner Weise brach – auch die sogenannten Kiddies ins Internet. Nach und nach übernahmen diese unsere Server, unsere Foren und unsere Games. Da sie natürlich nicht unser Können besaßen waren für sie viele der älteren Games mit viel Frust verbunden, und da diese Kiddies an keine Netiquette gebunden waren führte das schnell zu einer erheblichen Verschärfung des Tons auf den Servern. Man fing an sich gegenseitig von Servern zu Kicken, gewisse Communitys, die schon überrannt waren wurden geächtet und man geilte sich an jedem kleinen Fehltritt der anderen auf.
Bis dahin konnte man sich jedoch noch in private Foren und Chats, sowie passwortgeschützte, oder eigene Server flüchten, dies waren die letzten Bastionen, die den Altgamern noch erlaubten ihren Lebensstil zu leben. Doch dann geschah das, was alle befürchteten. Die Hersteller fingen an nur noch Spiele zu veröffentlichen, deren Server die allein kontrollieren konnten. Die Communitys und die Serverarbeit wurde aus den Händen der Gamer genommen. Die kleine Familie wich der Anonymen Masse, der eigene Server wich Institutionen wie Steam. Scoreboards, Turniere, etc. fanden jetzt in der Öffentlichkeit für die Öffentlichkeit statt.
Um die Zerstörung perfekt zu machen wurden so gut wie alle Onlinegames nun für die Spielkonsolen zurecht getrimmt. Movement und Zielen wurde der behäbigen Steuerung mit Joypad angeglichen, Die Waffenkontrolle fiel dem Mangel an Knöpfen zum Opfer. Sogar der bis dahin beinahe schon zum Pflichtinhalt gehörende Editor verschwand auf nimmer wiedersehen.
Dies war jedoch nur noch ein kleiner Schritt, da die Games, die einem echte Fertigkeiten abverlangten schon lange am sterben waren. z.B. Trickjumps in dem Sinne gibt es heute keine mehr – Übung braucht man wenig bis gar keine um irgendwas zu erreichen. Die Spiele sind leichter, kürzer und an Joypadsteuerungen angepasst. Die Spieler sind im Schnitt jünger, aggressiver und unbeherrschter.
Wenn ich früher auf einen Server gegangen bin und einen Frag kassiert habe, dann gab es ein Smilie und ein „n1“, was so viel heißt wie „nice one“, also grob gesagt „gut gemacht“. Wenn ich heute einen Frag mache, dann heißt es „You Fu**ing Ni**er, Motherfu**er, I kill you, a**hole!!!111“ – und das bedarf wohl keiner weiteren Übersetzung.
Nun spiele ich schon seit ein paar Jahren nicht mehr, bzw. nicht mehr regelmäßig. Die meisten Games, die ich noch Spiele finden entweder übers LAN statt oder sind eben Einzelspieler Spiele. Ganz selten schaue ich mal, ob es noch Server für die Games gibt, die ich früher so gerne gespielt habe. Diese sind oft schwer aufzutreiben und selten belegt. Auch die alten Communitys gibt es nicht mehr wirklich, oder zumindest nicht mehr in der bekannten Form. Es ist dann so, als würde man durch eine abgefackelte, geplünderte Stadt gehen, wo hier und da noch ein paar Menschen leben, die, wie man selber, trauernd über den Trümmern dessen hocken, was einst eine wunderschöne, blühende Metropole gewesen ist.
Das Gaming, das ich kannte ist tot und niemand hat ihm ein Grab gegraben. Millionen Aasgeier vergnügen sich an den Überresten und die einstigen Angehörigen können nur tatenlos zuschauen wie all das, was sie aufgebaut haben langsam vergammelt oder verschlungen wird.

Aber gibt es wirklich keine Hoffnung mehr für uns „Alte“? Für die, die aus ein paar Pixeln damals eine Faszination haben entstehen lassen? Was ist unser Lohn dafür, dass wir durch unser finanzielles Einwirken all das überhaupt erst möglich gemacht haben? Die großen Hersteller haben uns offensichtlich zur Seite geschoben und geben nun dem größeren Publikum den Vorrang, oder doch nicht?
Die Antwort ist… „jein“
Der große Anteil des Mainstream Gaming gehört eindeutig den Kiddies, den Lamern oder wie auch immer man sie bezeichnen will. Eben jenen, die extreme Beleidigungen kultivieren noch bevor sie den Stimmbruch erreicht haben. ABER es gibt dann doch noch eine Menge Games, die von diesen fast vollkommen unbeachtet geblieben sind. Das Beste an der Sache ist, die meisten dieser Games sind sehr günstig, oder gar kostenlos. Woran liegt das? Zum einen sind die Modder von früher herangewachsen und können nun ihre eigenen Games programmieren. Zum anderen finden kleine, unabhängige Hersteller im Internet einen zuverlässigen Absatzmarkt für ihre Produkte, die natürlich qualitativ selten mit dem Mainstream mithalten können, aber oft reicht tatsächlich die berühmte gute Idee und der letzte Tropfen Herzblut um ein Spiel auf die Beine zu stellen, dass man gut online spielen kann.
Gerade die Imperfektion machen diese Spiele dann nicht selten zu den perfekten Spielen für uns Altgamer, da es wieder neue Dinge gibt, die man herausfinden und nutzen kann, wie etwa Bugs, die weite Sprünge erlauben, ein Movement, dass beeinflusst werden kann, wenn man weiß wie, Waffen, die Zweckentfremdet werden können, um sich andere Vorteile im Spielverlauf zu erhaschen etc. Eben all das, was in den heutigen Mainstreamgames flächendeckend fehlt.
Warum sind diese Games uns in gewisser Weise vorbehalten? Die Antwort liegt näher als man denkt: weil man, um sie zu finden ein wenig um Internet suchen muss, was wiederum die Fähigkeiten und das Wissen von 99% aller Kiddies weit übersteigt. Wir hingegen sind damit aufgewachsen und es interessiert uns. Wir finden diese Games, wenn wir danach suchen, weil wir Interesse haben und das ist das, was wir der beleidigenden Masse immer voraus haben werden.
Vielleicht bietet also das Mainstreamgaming für uns nur noch wenig. Es ist bitter abgeschmeckt auf den größten gemeinsamen Nenner – simplifizierte Spielmechaniken sollen den Einstig wohl auch für Neugeborene ermöglichen und alles woran noch geschraubt wird ist die Grafik.
Wir aber können uns auf das verlassen, was uns schon damals von der Masse abgrenzte: unser Wissen. Suchen wir uns also kleine Open Source Projekte oder ein Indiegame und holen wir uns unseren Spaß zurück, denn er gebührt uns!

-Holger Sontag
Visit www.mercuryproductions.de

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